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Magdalena Taube - Rainer Ganahl Interview --- unedited.. (not even re-read.. just written) March 2010

(Berliner Gazette)

1. Zunächst eine kleine Zeitreise: Was war für dich ein prägendes Erlebnis während deiner Schulzeit? Gab es Fächer, Lehrer, Mitschüler, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind? Oder passierten die wichtigen Dinge vielleicht außerhalb der Schule?

Ich bin wahrscheinlich einer der letzten jahrgaenge, in denen noch GEPRUEGLET wurde. Da gab es ohrfeigen, die mich ueber die bank geschmissen haben. Es gab auch “zuendelnde” mathelehrer, die mit dem feuerzeug uns die haare angebrannt haben. Sehr beeindruckend war auch ein erlebnis mit einem tuerkischen jungen, der nicht in die schule kam: der Lehrer schickte mich zu ihm nach hause – waehrend des unterrichts – um in abzuholen. Schon im gang war das schlagen und schreien des vaters durch die tuere hoerbar. Der junge kam dann mit mir in die schule, um dort sofort wieder vor der ganzen klasse mit einer rute diszipliniert zu werden. Der ganze ruecken war rot, blutig und vernarbt. Ich hasste die schule und dieses preugeltheater, dass an der tagesordnung stand. Das war bludenz, vorarlberg in den 60iger jahren. Alle schulen,die ich besucht habe,  waren so. Da die eltern auch nichts besseres im kopf hatten als zu schlagen, waren die immer auf der seite der lehrer. Es wurde erst in der mittelschule (ab 14) etwas besser, wobei auch da noch autoritaere spiele an der tagesordnung standen.

 

2. Für dich als Künstler sind Bildung und Erziehung wichtige Themen. Wie ist es zu dieser Auseinandersetzung gekommen?

Bildung und erziehung sind sehr institutionelle begriffe, mit denen ich mich nicht identifzieren moeochte, nachdem ich mich trotz meiner universitaeren ausbildungen – mit fast 10 jahren und mehreren abgeschlossene studien – als autodidakt verstehe. Es ging bei mir nie um bildung oder erziehung, die ich irgendwie ablehne und verachte, weil sie so bildungsbuergerlich daherkommen. Sie erinnern mich an jene eltern, die in die schule kamen und sich beklagten, dass ihre jungs neben mir saessen und seither nicht mehr klavierspielen oder lernen wollten und schlechtes vokabular verwendeten. Es ging mire her ums wissen und das damit zusammenhaengende soziale und politisch-oekonomische machtgefuege, an dem es zu ruetteln galt. Wenn ich fremdsprachen lernte, so war das um mich in fremden laendern zurechtzufinden oder um buecher lessen zu keonnen. Wenn ich mich fuer philosophie, die frankfurter schule,  psychoanalyse, Kafka oder Foucault interessierte, dann war das um ueberleben zu koennen. Irgendwann natuerlich kommt man dazu, das ganze system, das wissen ermoeglicht, produziert, in umlauf bringt und verkauft selber zu beobachten, was mittlerweile auch teil meiner kuenstlerischen arbeit wurde. 

3. Deine Arbeit “S/L Seminars / Lectures” beschäftigt sich mit Seminaren und Vorträgen, hält die Situationen in Fotos fest. Was konntest du bei diesem Projekt beobachten? Gab es Lern- oder Vortragssituationen, die besonders intensiv waren und wenn ja, warum?

Das wichtigste nebenprodukt dieser wie auch anderer meiner auf lernen basierenden projekten – leseseminare, fremdsprachenlernen, oral history projekte mit holocaustueberlebenden usw. – besteht darin, dass ich selber ganz lapidary gesagt was lerne. Wenn mich ein sprecher nicht interessiert oder das vortragsthema nicht anspricht, dann gehe ich einfach nicht hin. Umgekehrt gesagt, ich gehe sehr, sehr gerne zu vortraegen und univeranstaltungen, wenn mich die veranstaltungen interessieren – und dann fotografiere ich, wenn die umstaende es mir erlauben. Nun, gibt es vortraeger die besser sind als andere ? selbstverstaendlich. Irgendwie ist jeder vortrag auf seine weise interessant und spannend, aber selbstversteandlich sind situationen, die institutionel begrenzt sind und wo die vortragenden exzellent sehr beeindruckend. Ich konnte zb. Edward said’s seminar “the representation of intellectuals” an der Columbia University fuer ein semester besuchen, dass auf 16 leute begrenzt war und das in einem kontext, der fuer mich umbezahlbar gewesen waere. Unvergesslich sind immer jene preasentationen, wenn es den leuten um etwas geht: etwas Stuart Hall in London mit seinem Ethnicity, nation and race at the millennium- vortrag unmittelbar nach ein paar rassistisch orientierten morden in England.

4. In einer anderen Arbeit beschäftigst du dich mit dem Sprachenlernen und machst dich selbst als Lernenden zum Kunstobjekt. Kannst du anhand dieses Projekts vielleicht erklären, was vor sich geht, wenn man eine Sprache lernt? Welche Erfahrungen hast du selbst mit dem Sprachenlernen gemacht?
Ob ich mich selber durch das lenen zum kunstobjekt mache, weiss ich nicht, aber es hat einen performativen character, wo ich als protagonist – als lernende person – auftrete. Es ist also nicht so, dass ich mich wie gilbert & george auf einen sockel stelle und mich begaffen lasse, sondern ich lerne – meist in einem dem publikum entzogengen rahmen, weil das der sache – dem lernen - angemessener ist. Dass es davon bewegte und unbewegte bilder gibt ist wiederum was anderes. Bei diesen arbeiten geht es mir darum, das ready made konzept zu stressen und mit kontexten zu spielen, damit sie sinnstiftend neu ins gerede kommen. Ich lerne was und es entstehen fuer kunst recyclebare abfallprodukte, die sich nach 20 oder 30 jahren vielleicht wirklich verkaufen und sammeln lassen. Dazu kommt, dass die wichtige frage “warum ist das kunst” wieder neu gestellt wird und man auch auf das Problem Lernen an sich kurios abklopft – wie das auch hier durch dieses Interview geschieht.  

 

5. Inzwischen bist du selbst Hochschullehrer. Wie kann man sich ein Seminar bei Professor Ganahl vorstellen? Gibt es Situationen, die du als “Lehrer” provozierst, um die Studierenden zur Auseinandersetzung zu zwingen? Hast du vielleicht Beispiele dafür aus dem Uni-Leben?  

Zuallerest moechte ich betonen. dass ich sehr gerne unterrichte. Mir macht es spass, mit jungen leuten euber kunst und alles andere zu sprechen. Wir reisen viel (Shanghai, Paris, London, New York  usw.), wir reden und diskutieren viel und wir schauen uns auch vieles gemeinsam an. Das verhaeltnis Lehrer – Student wird immer wieder mit jeder person neu verhandelt. Natuerlich kommt es zu gespannten Situationen aber der Kontext an der Kunstakademie Stuttgart ist so frei, dass jeder immer wieder ausweichen oder auch umsatteln kann. Es kommt also zu keinem autoritaeren ausrastern – zumindest nicht von meiner seite aus. Eher kann ab und zu einen/eine studenten/in geben, der/ie vergisst, in welchem verhaeltnis wir zusammenarbeiten muessen. Viel virulenter wird die frage nach Grenzsetzung von meinem 20 monate alten sohn gestellt, der erziehung nun in jeder hinsicht zu unserem lebensinhalt gemacht hat.