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Mein (a)soziale Leben mit Dingen

Eigentlich wuchs ich ohne bemerkenswerte Objekte auf. Von Teddybaeren wurde ich noch vor deren sentimentalen Ablaufdaten durch Entsorgung entwoehnt. Dasselbe Schicksal erfuhr auch eine aufblasbare Seekuh mit dem Namen Isidora, die uns vier Kinder vom Ertrinken zu schuetzen hatte. Entsorgung war eine Staerke meines Vaters, die ich nach dem Ableben meiner Groszeltern persoenlich miterleben konnte. Vom Fenster aus starrte ich verwundert auf den vor dem Haus geparkten Anhaenger, der mit Sperrmuell sich langsam den ganzen Tag ueber anfuellte. Geschirr, das Generationen weitervererbt wurde, Moebelstuecke und Instrumente - Opa war nicht nur ein vielseitiger Musiker, sondern auch ein Instrumentenbastler -  bis hin zu Fotografien wurden sorglos weggeschmissen, ein Ereignis, das immer wieder waehrend diverser Familientreffen revue passierte, weil man Jahre spaeter damit anfing, ueber den (nur!) materiellen Wert mancher weggeschmissener Dinge sich Gedanken zu machen.

Das naechste Verschwinden betraf eine Objektgruppe mit unvergesslichem Erinnerungswert. Mit der Wiedervermaehlung meines Vaters wurden alle Bilder und Objekte, die an unsere verstorbene Mutter erinnerten, bis heute weggesperrt. Inzwischen verlor ich als Halbwuechsiger unbemerkt und ohne Drama mein Interesse am Kitsch und Plunder, den ich ueber Jahre hinweg auf Familienreisen aus Rimini und Taormina angeschleppt hatte: mittelalterliche  Schwerter, Totenkopfaschenbecher (fuers nichtrauchende Kind!) und Touristenbuddhas aus Marmor landete mit dem Rest meiner vorpubertaeren Konsumkitschsammlung im Sperrmuell. Aus jener Zeit ueberlebte nur ein Fotoapparat und eine bescheidene Briefmarken- und Muenzsammlung (die von Groszmutter uns geschenkten Goldmuenzen verschwanden alle eines Tages). Etwas spaeter, mit 14, bettelte ich zwei Jahre lang um eine Klarinette, an der ich mich dann zehn Jahre lange abmuehte.

Mehr Sexappeal hatte das Objektverstaendnis meines vier Jahre aeltern Bruders, der vom Gymnasium verbannt wurde, weil er grosz auf den Mantel eines Lehrers die Worte kleckste 'Ich bin doof'. Er spielte Schlagzeug in einer Band und konnte sich schon mit 16 ein knallrotes Moped kaufen, was alle beneideten. Die Begeisterung ueber seine frisierte, 80 Sachen rasende Zuendapp endete allerdings nach wenigen Monaten mit einem toedlichen Verkehrsumfall. Das erklaert vielleicht, wieso ich mich nicht fuer Motorraeder und Autos interessierte, sondern mich mein ganzes Leben lang mit Fahrraedern abfand. Kurz nach diesem Schicksalsschlag entwickelte ich mit 14 eine ausgesprochene Liebe zum elternunabhaengigen Reisen, das jedoch notgedrungen per Autostop 'materielle' Unabhaengigkeit _ sprich Objektlosigkeit _ zur Voraussetzung hatte. Ab meiner Autostopzeit verachtete ich jedes objektbezogene Verhaeltnis, was sich erst dann aenderte, als ich begann, mich mit Kunst einzulassen. 

Um diese Zeit jedoch rueckte eine neue, sehr wichtige, ja lebenstransformative Objektklasse in mein Leben: Buecher. Sie veraenderten meine Welt von Grund auf, denn ich konnte nun auf sie, die Welt verzichten. Dazu verwendete ich mein ganzes Geld und wenn es nicht reichte, folgte ich dem situationistischen Satz: 'Le bon usage du choix commence avec le refus de payer.' Diese situtationsabhaengige Zahlungsverweigerung erotisierte den Bezug zu Buechern, die fuer mich immer schon sehr nahe am G-point sich befanden. Wochenlanges Durcharbeiten, Unterstreichen und Markieren von Seiten um Seiten lud diese mit quasi-existentieller Bedeutung auf, sodass ich mich zwei Jahrzehnte lang nicht wagte, Buecher vom Regal langfristig zu entfernen. Bevor ich meine Wiener Mieterschutzwohnung verloren hatte, war ich nicht in der Lage, auch nur ein einziges meiner stw-Volumen eines Hegels, Adornos oder Wittgensteins zu entfernen. Um sie nicht dem Verbund der Wiener Regale zu entreiszen, zog ich es vor, sie neu zu kaufen, um sie mit nach New York zu nehmen. Mir erschien, als ob diese Buecherwaende mein abwesendes Leben auf Distanz zusammenhielten, denn ich verbrachte ja nicht mehr als ein paar Wochen im Jahr in Wien. Mein Benjaminsches 'Auspacken meiner Bibliothek'-Erlebnis kristallierte sich bei der gegenteiligen Praxis im Winter 2006/07: Im billigen Abverkauf, im Verschenken, im Endlagern und Entsorgen dieser Buecher, die mein Leben so bestimmten. Mein quasi-fetischhaftes Verhalten zu Buechern aenderte sich schizophraenerweise aber defacto schon mit dem Verlassen von Wien 1986, denn in New York verstecke ich Buecher bis heute nur in Kisten, Kleider-, Schuh- und Lagerraeumen und achte darauf, dass sie sich nicht im unmittelbaren Lebensbereich ansammeln und sichtbar sind.

Um hier skizzenhaft mein (a)soziales Leben mit Objekten abzuschlieszen, moechte ich kurz noch auf die einzigen in meiner Wohnung rumliegenden 'Nicht-Kunstobjekte' verweisen, denn wie gesagt, bis auf Kunst und Gebrauchsobjekte, liegt nur wenig Zeug rum. Am Fensterbrett gibt es einen aus Syrien stammenden Holzfrosch, der die Geraeusche von Grillen imitiert, zwei aus leeren Oelkanistern geschnitte Spielzeugautos aus Madagaskar und ein Lachobjekt, eine mit einem Faden animierbare Buechse, die Gelaechter zum Besten gibt. Ansonsten faellt leider alles unter die Kategorie Kunst. Selbst eine obskure kopfabschlagende handlose Schnitzfigur mit entbloestem Geschlechtsteil, die mir als Partygeschenk ueberlassen wurde (wahrscheinlich dem downtown-Sperrmuell entnommen), erfuhr eine Verwandlung in Kunst durch Gelitins genialer Kopiermaschinenaktion, der zufolge nach Objekte von der Kuenstlergruppe 'kopiert' wurden. So erhielt meine grausame, verstuemmelte Figur einen Doppelgaenger, was das gewalttaetige Paar wunderbar in Kunst verwandelte _ dh. als solches wird es nun von mir bewundert, verehrt und gepflegt _ kurz: vor Entsorgung geschuetzt. 

Rainer Ganahl, Feb. 2009
www.ganahl.info

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